„Mal ganz abgesehen von dem Recht auf ein schönes Leben“

img142Seit über einem Jahr schon ist das Alte Sportamt als selbstorganisierter Raum in Bremen besetzt. Seitdem wurde viel berichtet, geschrieben und diskutiert. Dieses Interview soll nun einige offene Fragen klären und eine Möglichkeit bieten, die Beweggründe der Besetzer_innen ausführlicher zu besprechen. Dazu treffen wir uns heute mit Sid und Nancy.

Hallo erstmal. Ihr seid beide Teil der Nutzer_innen-Gruppe die das Alte Sportamt im April letzten Jahres besetzt hat. Vielleicht könnt ihr zu Beginn erklären was ihr im Alten Sportamt eigentlich so macht und was das Projekt für euch bedeutet?

Nancy: In erster Linie ist das Sportamt natürlich ein Veranstaltungsort. Dabei ist uns aber besonders wichtig diesen selbstbestimmt zu organisieren. Deshalb haben wir uns immer dagegen entschieden unter irgendwelche Träger zu schlüpfen oder finanzielle Unterstützung zu beantragen. Uns geht es darum finanziell unabhängig zu sein und niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen, um unsere Entscheidungen schließlich frei treffen zu können. Alles was diesen Ort angeht wird auf dem Nutzer_innenplenum besprochen und soll nicht von außen vorgegeben werden.

Sid: Wir möchten generell, dass Menschen selbstbestimmt und solidarisch miteinander umgehen und das versuchen wir hier so weit wie möglich umzusetzen und Probleme gemeinsam zu lösen.

Ihr sprecht von Selbstbestimmung und Solidarität, wie lässt sich so ein Miteinander eurer Meinung nach umsetzen?

Sid: Wir glauben,dass sich ein solidarisches Miteinander nur durch das Ausprobieren von gemeinsamen Praxen erreichen lässt. Dazu sehen wir die Möglichkeit in einem selbstorganisierten Projekt wie diesem. Es stößt uns immer wieder auf Probleme und Fragen, zum Beispiel danach wie wir gemeinsam Entscheidungen treffen, wie wir miteinander umgehen, wie wir zueinander sprechen wollen.
Nancy: Wir wollen gemeinsam versuchen Herrschaftsmechanismen und -strukturen zu erkennen und aufzulösen. Auch wenn uns das nicht einfach so gelingen kann, weil wir in einer Gesellschaft leben, die von diesen durchzogen ist, ist es uns wichtig, dass sich kein Mensch über einen anderen stellt. Wir denken, dass sich der Abbau solcher Strukturen erreichen lässt, indem wir uns auf Augenhöhe begegnen und gleichberechtigt miteinander umgehen. Dabei stehen wir dem eigenen Handeln und dem der Anderen kritisch gegenüber. Durch die praktische Umsetzung und das Immer-wieder-Ausprobieren davon können wir unserer Vorstellung von einer solidarischen Gesellschaft näher kommen, die nicht nicht von Konkurrenzverhalten und Leistungszwang beeinflusst ist.
 Würdet ihr euch als eine Art Gegenmodell zur neoliberalen Stadt sehen?
Sid: Das Sportamt soll halt nicht wie andere Veranstaltungsorte, wie Kneipen, Clubs und so, ein Ort zum Konsumieren sein, wo den Leuten gegen Geld alles bereitgestellt wird. Das Projekt entsteht und verändert sich mit seinen Nutzer_innen und dem, was sie hier machen. Es lädt zum mitmachen ein und die Leute können am Plenum und somit auch an den Entscheidungen teilhaben. Außerdem soll das Sportamt ein Raum sein, wo der Zugang bei Veranstaltungen möglichst frei ist, wo kein Eintritt bezahlt werden muss und Essen und Getränke gegen Spende zu kriegen sind. Das nimmt, zumindest für den Moment, den Druck des Geldverdienens, den das Leben in unserer Gesellschaft mit sich bringt. Darauf bezogen, würde ich schon sagen, dass das Sportamt ein Gegenmodell ist. Obwohl Gegenmodell für mich zu sehr nach einer allumfassenden Lösung klingt.
Nancy: Naja, eine allumfassende Lösung haben wir natürlich nicht, aber ich denke schon, dass sowas wie das Sportamt ein Entwurf für einen solidarischeren alltäglichen Umgang miteinander sein kann.
 Gerade ging es um die „Stadt“. Wo seht ihr euch in der aktuellen Stadtentwicklung?
Nancy: Das neoliberale Modell setzt voll auf Verdrängung und Ausgrenzung. Mieten werden teurer, öffentlicher Raum wird privatisiert und alles was sich nicht im Sinne der kapitalistischen Verwertungslogik vermarkten lässt wird verdrängt. Dieser Entwicklung stellen wir uns aktiv entgegen. Die Besetzung des Alten Sportamts zeigt dass wir ohne die Politik und deren Bebaungspläne eindeutig besser dran sind.
Sid: Es kann nicht angehen, dass gesellschaftliche Teilhabe von den finanziellen Mitteln abhängig ist. Dieser neoliberalen Logik werden wir uns nicht anpassen. Vielmehr wollen wir Strukturen aufbauen die sich außerhalb dieser Wege befinden und unabhänig sind.
 Das hört sich ja so an, als ob ihr die Zusammenarbeit mit der Politik grundsätzlich ablehnt. Warum habt ihr dann trotzdem letztes Jahr mir der Stadt verhandelt und wie kam es dazu, dass ihr die Verhandlungen im Herbst abgebrochen habt?
Sid: Eigentlich war das ein Versuch. Es gab ja in Bremen schon mehrere Hausbesetzungen. Da gab es zum Beispiel die Besetzung der Unruh-Spedition 2012 und zwei weitere 2014. Die Strategien dabei waren ganz unterschiedlich und der Weg den wir gegangen sind war eben noch ein ganz anderer. Ein bestehendes Projekt aus seinen beschissenen Zwischennutzungsvereinbarungen heraus zu holen und es dabei vor dem Rauswurf zu retten, schien uns nur dadurch machbar, dass wir verhandlungsbereit waren.
Nancy: Von vornherein gab es dazu aber auch verschiedene Meinungen auf unserem Plenum. Wir haben wohl alle mal hin und her geschwankt zwischen dem Wunsch das Projekt zu halten und dafür auch Kompromisse in den Verhandlungen einzugehen und dem Wunsch straight zu bleiben, also den Kontakt zur Stadt grundsätzlich zu meiden. Es gab eine Zeit, da hätten wir einen Vertrag, der unseren Vorstellungen entsprochen hätte, unterschrieben. Es hat sich dann aber herausgestellt, dass es den nicht gibt und nicht geben kann. Alles was uns angeboten wurde waren wieder Zwischennutzungsverträge und völlig unbrauchbare Ersatzobjekte. An dieser Stelle haben wir dann letzten Herbst die Entscheidung getroffen, die Verhandlungen abzubrechen.
 Teile der Öffentlichkeit werfen euch „Gesetzesbruch“ vor und fordern offen die Räumung des Geländes – was sagt ihr dazu?
 Nancy: In unserer Situation zeigt sich ja, dass dieser Rechtsbruch absolut notwendig ist, denn ohne ihn gäbe es das Sportamt nicht mehr. Die Gesetzeslage lässt eine Nutzung, wie wir sie betreiben, eben nicht zu und wie die Verhandlungen gezeigt haben ist die Bremer Politik nicht bereit diese Situation zu ändern. Folglich ist es, denke ich, nachvollziehbar, dass wir diesen Weg gehen, um das Projekt „Altes Sportamt“ zu erhalten. Die vielfältige Nutzung zeigt auch, dass wir damit nicht alleine dastehen. Wir sind gut vernetzt und hinter uns stehen viele Unterstützer_innen.
Sid: Zum Thema Räumung wollen wir an dieser Stelle deutlich machen, dass wir versuchen werden, sie mit aller Entschlossenheit zu verhindern.
 Also haltet ihr die Aneignung von fremdem Eigentum für ein legitimes Mittel?
Nancy: Im Fall des Alten Sportamts ist die Sache doch eindeutig. Die Immobilie stand einige Jahre leer und wir haben mit unserem Projekt einen toten Ort wiederbelebt. Durch den offen Zugang und die Möglichkeit der Beteiligung geben wir diese städtische Immobilie an die Allgemeinheit zurück. Außerdem halten wir es weiterhin für nicht zu rechtfertigen ein funktionierendes Projekt einfach platt zu machen.
Sid: Aber auch grundsätzlich halten wir es für richtig Leerstand zu besetzen. Ein Haus nicht einfach leerstehen zu lassen, sondern es den Menschen zur Nutzung zu überlassen, würde einer solidargesellschaftlichen Verantwortung entsprechen. Es gibt das Grundbedürfnis nach Wohnraum und sozialen Treffpunkten. Diese sollten unserer Meinung nach für alle verfügbar und keine Handelsware oder Spekulationsobjekte sein. Die Leerstands-Politik des Bremer Senats zeigt, dass das Recht auf Eigentum jedoch einen höheren Stellenwert hat als das Recht jeder Einzelnen ihre Grundbedürfnisse zu decken, mal ganz abgesehen von dem Recht auf ein schönes Leben. Solange das so ist, bleibt die Aneignung von fremdem Eigentum absolut richtig und notwendig.
 Vielen Dank erstmal für das Interview. Wollt ihr denn noch etwas sagen?
Nancy: Ja klar. Wir wollen an dieser Stelle alle Menschen, Projekte und Gruppen grüßen die auf unterschiedlichste Art und Weise für eine befreite Gesellschaft kämpfen. Wir halten es für richtig und notwendig sich über das bestehende Recht hinweg zu setzen um eine positive gesellschaftliche Veränderung zu erreichen. Wir hoffen, dass die Besetzung des Alten Sportamts allen Aktivist_innen Mut macht und laden alle herzlichst dazu ein bei uns vorbei zu kommen und diesen Ort mit uns zu teilen.