taz nord 02.12.17

Erkämpfter Raum

Bis vor ein paar Monaten war das „Alte Sportamt“ in Bremen besetzt. Dann einigten sich die BesetzerInnen mit der Stadt. Zwar gab es aus der Politik auch Gegenwind, doch letztendlich war die Besetzung erfolgreich. Von Milena Pieper

Auf den ersten Blick sieht das Gelände verlassen aus. Ein riesiges gemaltes Chamäleon schmückt das Gebäude. Hinter den Fenstern ist es dunkel, auf dem Hof steht ein alter, blauer Bauwagen. Davor liegen kahle Äste auf dem Boden – die müssen wohl noch entsorgt werden. Dann geht eins der Fenster auf und eine junge Frau schaut heraus. Das Fenster geht wieder zu. Die Frau kommt zum metallenen Eingangstor und öffnet das große Schloss. „Im Moment setzen wir hier alles instand“, sagt sie. Sie wollen ja gut in die neue Saison im Sommer starten. Die Frau hat ihre langen schwarzen Haare unter einem Schal versteckt. Auf der Stirn, direkt unter dem Haaransatz, hat sie ein kleines Tattoo. Sie ist eine der ehemaligen BesetzerInnen des Alten Sportamtes in Bremen.

Zwei Jahre lang war das marode Gebäude besetzt. Es steht nahe des Weserstadions neben einer Kleingartensiedlung. Im September haben die Stadt und die BesetzerInnen des Vereins Klapstul einen Leihvertrag unterschrieben – nach langen und komplizierten Verhandlungen. Der linke Kulturverein darf das Gebäude nun langfristig nutzen. Die meisten Ziele der Besetzung hat er damit erreicht: Miete muss Klapstul wegen des schlechten Zustands des Gebäudes, in dem es keine Heizung gibt, nicht bezahlen. Der nun unterschriebene Vertrag erlaubt eine aktive Nutzung von April bis Ende Oktober. In den Wintermonaten darf das Gebäude nur als Lager genutzt werden, da für das Gelände, das direkt an der Weser liegt, Überschwemmungsgefahr besteht.

Äußerlich erinnert das Alte Sportamt an andere linksautonome Kulturzentren. Riesige Graffiti bedecken die Fassade. „Kill Capitalism before it kills you“ steht auf einem großen Laken, das am Zaun befestigt ist. „No camera“ steht direkt darüber. Mit der Öffentlichkeit gehen die NutzerInnen des Sportamtes trotzdem offen um. Auf ihrer Internetseite dokumentieren sie alle Stationen der Verhandlungen, und durch ihre Bleibe an der Weser sind die AktivistInnen präsent – viele Ausflügler und Spaziergänger kommen direkt an dem Gebäude vorbei. „Es hat uns sehr gefreut, dass die Leute sich von dem illegalen Status nicht haben abschrecken lassen. Überraschenderweise war der Zulauf nach der Besetzung besonders groß“, sagt einer der BesetzerInnen. Er war schon von Anfang an mit dabei, hat den Klapstul-Verein mit gegründet. Seit 13 Jahren wohnt er in Bremen. Seinen Namen möchte er nicht nennen, denn ihm und seinen MitstreiterInnen ist es wichtig, anonym zu bleiben. Bei Fragen zum Sportamt entscheiden sie im Kollektiv.

Seit 2011, dem Jahr seiner Gründung, stellt der linke Kunst- und Kulturverein in den Sommermonaten ein Programm im Alten Sportamt auf die Beine, zu dem Konzerte, Workshops und SoliPartys gehören. Veranstaltungsort ist ein großer Raum, in dem rundum alte Sofas stehen und in der Mitte ein lila Tisch. An den Wänden hängen Poster. Darauf, dass hier was getan werden muss, lässt auch der Geruch nach altem Teppich schließen. Auch die kleine Küche, die an den Raum angrenzt, ist in keinem guten Zustand. Durch das Eingangstor kommt eine alte Frau mit struppigen Haaren und Mütze. Neben ihr läuft ein dunkler großer Hund. „Ah, noch jemand zum Helfen“, sagt die Aktivistin mit dem Tattoo. Sie kommt aus Köln und ist seit dem Beginn der Besetzung dabei. Im Sommer soll wieder ein volles Programm starten. Nach dem neuen Vertrag ist die Zahl der Besucher auf 199 Menschen begrenzt. Viele Konzerte fänden auch draußen statt, sagt die Aktivistin mit dem Tattoo. Das Verhältnis zur Nachbarschaft, einer Kleingartensiedlung, sei gut. „Die sind ganz cool“, sagt die junge Frau. Wenn es mal Beschwerden gebe, müsse man halt darauf eingehen. Und der Klapstul-Verein informiere die Nachbarn immer über das anstehende Programm, sage Bescheid, wenn es mal „laut und lange“ werde.

Vor der Zwischennutzung durch den Verein hatten die Räumlichkeiten jahrelang leer gestanden. Für Kai Wargalla von den Grünen in Bremen eine Situation, zu der es nicht wieder kommen sollte. Man müsse bei Hausbesetzungen im Einzelfall entscheiden, aber bei öffentlichen Gebäuden wie dem Alten Sportamt habe auch die Stadt eine Verantwortung. Ihre Partei war auf den Verein zugegangen und hat so die Verhandlungen wieder in Gang gesetzt. „Klapstul hat einen Wert für die Subkultur und die Menschen in Bremen“, sagt Wargalla. Dass das mit der Einigung geklappt hat, sei „großartig“.

Das sehen längst nicht alle Fraktionen in der Bremer Bürgerschaft so. „Die CDU hat bereits in den vergangenen Jahren den Rechtsbruch durch die Besetzung des Alten Sportamtes und die Aktivitäten dort kritisiert“, heißt es von einer Sprecherin der Fraktion. Schließlich fänden dort nicht nur „Tanzkurse und Stempeldruck“ statt. Laut Verfassungsschutzbericht sei der Alte Sportamt ein „Übungsraum für gewaltbereite Linksextremisten“. Der Rechtsbruch durch den Verein Klapstul dürfe nicht nachträglich legalisiert werden. Die CDU habe große Zweifel daran, dass die vereinbarten Auflagen eingehalten werden. Den Mitbegründer von Klapstul wundert es nicht, dass „aus der Ecke solche Dinge kommen“. „Da sind viele mit ihren Vorwürfen auf dieser G20-Welle mitgeschwommen“, sagt er. Nach dem G20-Gipfel in Hamburg waren autonome Zentren in die Schusslinie geraten, weil viele Politiker die Rote Flora für die Ausschreitungen im Schanzenviertel mit verantwortlich machten. „Wir distanzieren uns von nichts, was hier im Sportamt stattfindet“, sagt der Klapstul-Aktivist. Der CDU reiche ein Aktionstraining als Vorbereitung auf eine Anti-Nazi-Demo, um die BesetzerInnen als politischen Gegner zu sehen: „Und das ist auch okay, das sind wir definitiv.“

Zu der Besetzung kam es, weil die Stadt dem Klapstul-Verein eine langfristige Lösung für seinen Veranstaltungsort verweigerte. „Ab heute haben wir dieses Haus besetzt“, verkündete der Verein am 2. April 2015. Etwa 100 Menschen waren dabei, als das Sportamt besetzt wurde. Sie tauschten die Schlösser aus und forderten eine politische Lösung. Sie seien bereit, über die Bedingungen für eine langfristige Nutzung zu verhandeln, würden das Alte Sportamt jedoch nicht freiwillig verlassen, schrieben die Nutzerinnen und Nutzer des Gebäudes. Seit Dezember 2014 habe es Gerüchte gegeben, die Stadt wolle eine andere Nutzung des Gebäudes, heißt es in einer Stellungnahme von Klapstul. So gab es die Idee, das alte Sportamt als Sportgerätelager zu nutzen. Vor der Besetzung habe Klapstul versucht, Kontakt mit der Stadt aufzunehmen. Über das Ende der Zwischennutzung habe der Verein dann aber aus der Presse erfahren. „Für uns war klar: Wir unterschreiben auf keinen Fall unseren Rauswurf“, sagt der Klapstul-Aktivist. Den Vorschlag, an einen anderen Ort zu wechseln, lehnte der Verein ab. Es werde immer davon geredet, dass die Zeiten von Hausbesetzungen vorbei seien, aber das glaube er nicht, sagt der Aktivist. Besetzungen seien immer schwierig, besonders für neue Gruppen oder Vereine. „Aber wir hoffen, dass wir das etwas aufgeweicht haben und es nicht mehr so ein Schreckgespenst ist.“

Nachdem es seit den 1980er-Jahren kaum Hausbesetzungen gegeben hatte, ist es in Bremen in den vergangenen Jahren mehrmals zu Aktionen gekommen. So besetzten AktivistInnen im Oktober 2012 eine ehemalige Spedition am Güterbahnhof in der Bremer Neustadt, wurden aber von der Polizei geräumt: Man habe die Besetzung durch „niedrigschwellige Maßnahmen“ verhindert, heißt es dazu aus dem Bremer Innenressort. Ein grundsätzliches Vorgehen zu Hausbesetzungen, Räumungen oder Überlassung sei dem Ressort aber nicht bekannt. Immerhin scheinen Hausbesetzungen in Bremen nicht generell kriminalisiert zu werden. „Bei uns war die Polizei einmal am ersten Tag und hat deutlich gemacht, dass sie kommt, wenn sie den Auftrag erhält“, sagt der Klapstul-Aktivist. Doch dazu kam es eben nicht, und es gab auch noch andere Besetzungen, die Erfolg hatten. 30 Jugendliche besetzten im März 2014 das Freizeitheim „Freizi“ im Buntentorsteinweg in der Neustadt, nachdem die Zuschüsse um 22.000 Euro gekürzt worden waren. Die Einrichtung hatte daraufhin einen Sozialarbeiter abgezogen und die Öffnungszeiten eingeschränkt. Die BesetzerInnen besetzten das Freizi mehr als vier Monate lang. Schließlich einigten sie sich mit dem Deutschen Roten Kreuz, das das Jugendzentrum bis dahin geführt hatte. Das Rote Kreuz kündigte die Trägerschaft und die Jugendlichen fanden mit dem Verein für Sozialpädagogische Familien- und Lebenshilfe einen neuen Träger. Sie hatten ihr Ziel erreicht.

Die Besetzung des Alten Sportamtes stand unter günstigen Voraussetzungen, das betonen auch die AktivistInnen. So hatte sich der Verein Klapstul bereits etabliert, und der Standort ist wegen der Überschwemmungsgefahr des Gebiets für Investoren nicht sehr interessant. Trotzdem hätte es ohne Unterstützung von außen vielleicht nicht geklappt. Initiativen wie die ehemals besetzte Schwankhalle oder das Lagerhaus unterstützten die BesetzerInnen. „Ich persönlich glaube, dass das der Knackpunkt für unseren Erfolg war“, sagt der Klapstul-Aktivist. „Die Solidarität war da und sie war sichtbar.“ Sein Verein sei dadurch in einer starken Position für die Verhandlungen gewesen. Und auch ohne die Gesprächsbereitschaft der Grünen zum Ende hin hätte es wohl keine Einigung gegeben. Da auch die Finanzsenatorin Karoline Linnert von den Grünen ist, sei jedoch schwer zu trennen, wer welche Absichten hatte. Die zuständige Anstalt Immobilien Bremen ist an das Finanzressort angegliedert. Eine Räumung, wie sie im Fall des Alten Sportamtes während der Besetzung angedroht wurde, wäre von der Finanzsenatorin ausgegangen. Die zeigte sich Ende September sehr erfreut über die Schließung des Vertrages. „Man sieht, miteinander reden hilft“, erklärte sie.

Für die BesetzerInnen bleibt der Vertrag ein Kompromiss. „Für uns war die Option, den Vertrag nicht zu unterschreiben und besetzt zu bleiben auf jeden Fall eine Alternative, die wir ausführlich diskutiert haben“, sagt der Klapstul-Aktivist. Die Begründung für die lange Winterpause findet er etwas schwammig. Außerdem hätte er gerne eine Genehmigung für die langfristige Nutzung bekommen, nicht nur eine Duldung. Dazu hätte aber der Bauplan geändert werden müssen, und das wäre schwierig gewesen.

Das schwarz-weiße Chamäleon von der Fassade, das für die BesetzerInnen zum Symbol geworden ist, ruht momentan zusammengerollt auf der Website des Vereins und informiert über die Winterpause. Für die Nutzerinnen und Nutzer des Alten Sportamtes gibt es trotzdem schon einiges zu tun: Für die nächste Saison gibt es bereits Anfragen – diesmal das legalisierte Sportamt.